Kunstschaffende
Nachlässe
Erbverträge
Tomas Kratky (1961-1988)
Bürgerort: Ostravice, Tschechien
Schaffensort: Burgdorf (BE)
Tomas Smidek-Kratky zieht 1968 mit seiner Familie in die Schweiz, wo er bis 1980 verschiedene Schulen besucht. In diesem Jahr entstehen während einer mehrmonatigen Reise nach Portugal und Spanien autodidaktisch erste Zeichnungen. Nimmt den Familiennamen seiner Mutter an. 1981 Beginn des gemalten Werks mit dem Diptychon Familienbild, für das ihm 1983 das Louise Aeschlimann-Stipendium zugesprochen wird. Besucht Kurse bei Rudolf Mumprecht, Martin Ziegelmüller und Marietta Gullotti. 1983 erste Ausstellungsbeteiligung an der Wanderausstellung Berner Künstler unter Dreissig mit Stationen in den Kunstmuseen Bern und Thun, im Kunstverein Biel sowie in der Galerie Bertram in Burgdorf. 1985 erste Einzelausstellung in der Berner Galerie in Bern. Werkbeitrag der Städtischen Kunstkommission Bern für das Projekt In den vier Himmelsrichtungen. 1986 Geburt des Sohnes Jonas Chaim aus der Verbindung mit der Berner Künstlerin Vesna Bechstein. 1986–88 Ausstellungen und Aktionen in Bern in der Galerie Toni Gerber und mit Alois Lichtsteiner im Meerhaus sowie Zeichnungsausstellung im Kunstraum Burgdorf. Kratky stirbt im Alter von 27 Jahren in Burgdorf an einer Tumorerkrankung. Kurz nach seinem Tod werden seine späten Arbeiten im Rahmen der 14. Berner Kunstausstellung in der Kunsthalle Bern und in der Ausstellung Künstler aus Bern in der Shedhalle in Zürich gezeigt. Eine umfangreiche Werkgruppe gelangt 1990 als Schenkung des Galeristen und Kunstsammlers Toni Gerber ins Kunstmuseum Bern. Sie bildet die Basis zu einer 1991 im Kunstmuseum Bern sowie 1992 im Kunsthaus Zug gezeigten Retrospektive.
Kratkys Lebenswerk umfasst 47 Gemälde sowie zahlreiche Zeichnungen und Skizzen, die in der kurzen Zeitspanne von sieben Schaffensjahren entstanden sind. Unter dem Vorzeichen einer lebensbedrohenden Krankheit hat er darin eine Eigenständigkeit und Tiefgründigkeit erreicht, die diesem schmalen Œuvre Gültigkeit verleihen. Es ist denn auch als wesentlicher Beitrag zur figurativen Malerei der 1980er-Jahre anerkannt und gewürdigt worden.
Die Auseinandersetzung mit existenziellen Themen wie Geburt, Liebe, Sexualität, Religion, Tod, häufig auch Angst, Gewalt oder Selbstmord, fordert Kratky zu einem steten, radikalen Hinterfragen seiner eigenen Position als Mann, Künstler, Vater und schliesslich Kranker heraus, die er in seiner Malerei und einem umfangreichen Schrifttum intensiv reflektiert. In seiner frühen, von einem dunkeltonigen Kolorit geprägten expressiven Malerei sucht er diese Themen durch einzelne Figuren oder Figurengruppen in irrealen, hermetisch verschlossenen Raumkonstellationen in eine inhaltsschwere, symbolisch verdichtete Bildsprache zu übersetzen. Dabei verweist der häufig verwendete Bildtyp des Triptychons als Pathosformel auf die Beschäftigung mit der Kunst der Altmeister und das Vorbild Max Beckmann. In seinen beiden letzten Schaffensjahren befreit sich Kratky von formalen Bindungen und findet zu einer aus dem unmittelbaren Malakt heraus entwickelten Malerei. Seine Figuren verlieren durch subtil aufgetragene Farbschichten zunehmend ihre festen Konturen, werden von strahlend hellen Farbgründen umschlossen und scheinen in ihnen zu versinken, während ihre Gesichter durch feine Übermalungen oder Verwischungen wie von einem Schleier verdeckt sind. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden physischen Schwächung des Künstlers im Krankheitsprozess können viele dieser späten Bilder letztlich als Selbstbildnisse und als Metaphern des menschlichen Lebens im Bewusstsein von dessen Endlichkeit gesehen werden.
Textquelle: Silvan Faessler: «Tomas Kratky». In: SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz, 2017 (erstmals publiziert 1998).
SIKART Lexikoneintrag: PDF