Kunstschaffende
Nachlässe
Erbverträge
Christian Megert (*1936)
Bürgerorte: Steffisburg (BE)
Schaffensort: Bern und Düsseldorf
Christian Megert wächst in Bern auf. Lehre als Maurer für das geplante Architekturstudium, Besuch der Gewerbeschule Bern 1952−1956. Über Dieter Roth Eingang in die Künstlerkreise um die Galerie 33, Bern (Daniel Spoerri, Marcel Wyss). Nach Aufenthalten in Stockholm und Berlin ab 1958 in Paris wohnhaft, dort Anschluss an die Künstler der Galerie Iris Clert (Yves Klein, Jean Tinguely, Arman). 1960 Rückkehr in die Schweiz, Kontakte zur Avantgardegalerie Kasper in Lausanne, Mitbegründer der internationalen Künstlergruppe Nouvelle Ecole Européenne (N.E.E.), Lausanne. Enge Kontakte zur Gruppe ZERO, Wohnsitznahme in Bern. 1961 Publikation des Manifests Ein neuer Raum. Ab Ende 1961 Mitglied der Gruppe ZERO (Heinz Mack, Otto Piene, Günther Uecker), deren Ausstellungen er ab dann mitorganisiert. 1964 Mitbegründer der Galerie aktuell (im Künstlerkollektiv), Zentrum der Berner und internationalen Kunstszene. 1962 Teilnahme an der Ausstellung Nul im Stedelijk Museum, Amsterdam, 1966 an der Biennale di Venezia, 1968 an der 4. documenta. 1973 Übersiedlung nach Düsseldorf, dort 1976−2002 Lehrstuhl für Integration Bildende Kunst und Architektur an der Kunstakademie Düsseldorf. Beteiligung an Gruppenausstellungen, unter anderem an allen ZERO-Rückblicken. Regelmässige Einzelausstellungen sowie Retrospektiven 1997 im Kunstmuseum Bern und im Städtischen Museum Gelsenkirchen, 2009 im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt, 2014 im Zero-Raum und Container, Museum Kunstpalast, Düsseldorf, 2015 im Museum Ritter in Waldenbuch und 2017 in der Akademie-Galerie – Die neue Sammlung in Düsseldorf. Christian Megert lebt in Düsseldorf und Bern.
Nach einer kurzen Phase der Figuration wendet sich Christian Megert um 1955 in Anlehnung an die Tendenz des Informel mit gitterartig aufgebauten, reliefartig eingekerbten, vorerst weiss auf weiss reduzierten Strukturbildern der Abstraktion zu. Sich vom traditionellen Bildtypus distanzierend gelangt er durch die Steigerung der Plastizität mittels Beimischung mit Gips, Zement oder Sand zum Materialbild. Diesem folgt ab 1958 im Kontakt mit Tinguely, Spoerri und anderen in Paris das freistehende Objekt. Um 1959 integriert Megert zur Steigerung der Räumlichkeit erstmals Glas- und Spiegelscherben in sein Werk. Durch die Erfahrung deren Potenzials, Licht, Raum und Bewegung zu reflektieren, beginnt er als einer der ersten überhaupt den Werkstoff Spiegel schwerpunktmässig in die bildende Kunst zu überführen. Ab 1959 ist der Spiegel als Instrument der Realitätsuntersuchung Megerts künstlerisches Hauptthema. Vorerst entstehen Spiegelobjekte aus collageartig zusammengesetzten Spiegelscherben, die den Umraum facettenartig widerspiegeln, entweder auf Platten montiert oder in Metallstelen integriert. Daran schliessen partiell transparent bemalte Spiegelquadratformationen und Spiegelketten an, von denen Megert in radikaler Reduktion zur unbehandelten Spiegelwand übergeht. Anlässlich deren erstmaliger Präsentation 1961 in der Galerie Köpcke in Kopenhagen hält Megert seine künstlerischen Intentionen bezüglich der Spiegelverwendung erstmals schriftlich im Manifest Ein neuer Raum fest: «Ich will einen neuen Raum bauen, einen Raum ohne Anfang und Ende, indem alles lebt und zum Leben aufgefordert wird. Der gleichzeitig ruhig und laut, unbewegt und bewegt ist». Den Betrachter, die Betrachterin, mittels Licht, Reflexion und Bewegung mit ungeahnten Raumdimensionen zu konfrontieren und ihnen dabei unterschiedlichste Seherlebnisse zu verschaffen, wird in Megerts Werk zum zentralen Thema. 1961 an die 4. documenta eingeladen, realisiert Megert mit einem begehbaren Spiegelraum seinen ersten «Unendlichkeitsraum». Decke und Boden sind auf einer Grundfläche von insgesamt 6 x 6 Meter so mit Spiegelquadraten versehen, dass sich durch die Doppelung der Spiegel der Raum virtuell ins Unendliche fortsetzt. 1963 folgt mit dem gerundeten ZERO-Raum ein zweiter spektakulärer Spiegelraum, der durch vorgehängte Mobiles aus Spiegelscheiben eine nochmalige Steigerung des Spiegeleffektes erfährt. Vorerst führt Megert die Arbeit an den aus Scherben «zufällig» zusammengesetzten Spiegelobjekten fort, nähert sich jedoch mit den Spiegelobjekten aus Lamellen sowie den Pyramidenobjekten aus Prismen zunehmend der konstruktivistischen Formensprache an. 1963 setzt mit der Serie der Lichtkästen und lichtkinetischen Objekten eine der innovativsten Werkphasen des Künstlers ein. Bei den Lichtkästen handelt es sich um technisch aufwändig programmierte Kastenobjekte aus Holz, Spiegelglas und Fluoreszenzröhren, deren Einblick die Betrachtenden mit einem sich anscheinend in die Unendlichkeit fortsetzenden Tiefenraum konfrontiert. Dieses suggestive Moment steigert sich ins Hypnotische, nachdem sich Megert für die Frontflächen der Lichtkästen des neu entwickelten Einwegspiegels bedient, mittels dessen sich der Spiegelungseffekt um ein Vielfaches potenzieren lässt. Eine noch exzessivere Herausforderung der Wahrnehmungsfähigkeit erreicht Megert ab 1965, indem er die Kinetik mit einbezieht. Die Kastenobjekte werden mit rotierenden Stäben respektive quadratischen, kreis- oder dreieckförmigen Spiegelglaselementen versehen, deren sukzessive Drehungen laufend neue Überblendungen generieren. 1976 stellt Megert die Arbeit an dieser Werkgruppe ein; das einst innovative Potenzial hat sich für ihn durch die massenhafte Verbreitung der Licht-Kinetik, nicht zuletzt in der Unterhaltungsindustrie, erschöpft.
Ab 1973 in Düsseldorf wohnhaft verlagert sich Megerts Interesse ab 1974 in Theorie und Praxis hauptsächlich auf die Gestaltung des öffentlichen Raums. 1981 realisiert er in der Schweizerischen Nationalbank, Bern, ein 300 Meter langes Spiegel-Licht-Environment und setzt Spiegelelemente auch im Aussenraum ein, so in den zur spielerischen Benutzung einladenden verstellbaren Drehtürenskulpturen (unter anderem für die Bundesgartenschau Düsseldorf, 1987). Später geht Megert im Aussenraum zu hoch poliertem spiegelnden Stein, meist Granit, über. Die Konzeption der durchwegs grossformatigen Skulpturen respektive Skulpturengruppen aus Hohlquadern stelenartig aufgebaut, folgt dem Grundsatz, eine enge dialogische Beziehung zum Umgebungsraum einzugehen. So zur Architektur (Brunnen in Wesel, Niederrhein, 1984/1985) oder zur Natur (Brunnen, Schadaupark Thun, 1989). Ab den 1990er Jahren setzt sich Megert erneut mit dem Spiegelobjekt auseinander. Frühere konstruktivistische Gestaltungselemente sowie den Faktor Farbe aufgreifend entwickelt er auf programmatischer Basis serielle Folgen hoher formaler Komplexität.
Trotz der Bandbreite seines Tätigkeitsfeldes manifestiert sich Megerts Werk als in sich geschlossen; der Grundsatz der dialogischen Struktur und somit die Forderung nach der Partizipation der Betrachtenden bleibt konsequent beibehalten. Seine Untersuchung der elementaren Phänomene Licht, Reflexion und Bewegung wirft überdies eine Reihe relevanter Fragen auf. So nach dem Verhältnis zwischen Wesen und Erscheinung, Wahrheit und Täuschung, Individuum und Umwelt. Kunst und Gesellschaft sind in Megert Werk untrennbar miteinander verbunden. «Kunstwerke sind Seh- und Denkmodelle», hält der Künstler fest. «Wo sie als diese wahrgenommen werden, erzeugen sie Veränderungen».
Werke: Amsterdam, Stadthaus, 3-teilige Wandskulptur, 1989; Baden, Terrassenschwimmbad, Kinetische Spiegelskulptur, 1989; Berlin, Daimler Art Collection; Kunstmuseum Bern; Bern, Schweizerische Nationalbank, Licht- und Spiegelenviroment, 1981; Bern, Kantonales Kinderspital, Wandskulpturen/Reliefs, 1974, Holz, Spiegel, Plexiglas; Bern, Die Mobiliar; Düsseldorf, Museum Kunstpalast; Düsseldorf, Bundesgartenschau, Brunnenanlage, 1987, schwarzer Granit; Düsseldorf, Barbarossaplatz, Stele, 1990, roter Granit; Hamburg, Deutsch-Japanisches Zentrum, Gestaltung Treppenhaus (40 Elemente über 5 Etagen, 1995; Hannover, Sprengel Museum; Ingoldstadt, Museum für Konkrete Kunst; Krefeld, Kaiser Wilhelm Museum; Maastricht, Stadtzentrum, drei Skulpturengruppen/Stelen, 1986, Aachener Blaustein; Magglingen, Gelände der Eidgenössischen Sportschule (in Zusammenarbeit mit Ernst Buchwalder), drei Skulpturengruppen, 1979, Beton; New York, Museum of Modern Art; Staatsgalerie Stuttgart; Thun, Schadaupark, Brunnenanlage, 1989, schwarzer Granit; Waldenbuch, Museum Ritter; Vaduz, Rathausplatz, Progression einer Form in 3 Stelen, 2002, südafrikanischer Granit; Wesel (D), Westdeutsche Landesbank, Brunnenanlage mit drei Stelen, 1985, Basalt; Zürich, Haus Konstruktiv.
Text: Elisabeth Grossmann: «Christian Megert». In: SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz, 2018.
SIKART Lexikoneintrag: Christian Megert – PDF
Webseite: megert.de